2003 – Schuleinweihung

Kontraste eines Landes
Zwischen Müll und Mangroven

ERKELENZ (bir) Welten prallen aufeinander und doch trifft man in Gambia hier und da Bekanntes. Dort fährt ein Lkw mit der grotesken Botschaft „Müll – weniger ist mehr“. Es kurven in Europa ausrangierte Autos, die in Deutschland nie und nimmer die ASU-Plakette bekämen. Die Luftverschmutzung in den Städten ist enorm, so dass der Reisende angewidert Mund und Nase schützt. Eine Schutthalde – auch das kann Afrika sein. X-mal Abgegrastes und erst wirklich Unverkäufliches landet vielleicht irgendwann auf einer der riesigen, stinkenden Kippen und wird dort unkontrolliert verbrannt.

Ein weiteres Problem sind die Flüchtlinge aus Sierra Leone, der Elfenbeinküste, Senegal und Nigeria, die ihr Glück in Gambia suchen und sich irgendwie durchschlagen – etwa mit Prostitution bei Frauen und Männern. Die Aidsbombe tickt auch in Gambia, wie auf vielen Bannern und Plakaten zu lesen ist.

Trotzdem, Gambia hat neben liebenswürdigen und dankbaren Menschen noch mehr zu bieten: eine vielfältige Flora, Mangrovenwälder und Savannen. Auch wenn der Senegal-Enklave der Wildreichtum anderer Länder Afrikas fehlt, leben dort 550 Vogelarten. In Gambia überwintern zahlreiche Zugvögel aus Europa: z.B. Nachtigall, Bachstelze, Schwalben, Wiedehopf und Weihen. Wer sich darüber hinaus im Land umschaut, erkennt wie diffizil die Problematik Entwicklungshilfe ist: Hilfe zur Selbsthilfe wird gebraucht und keine, die Abhängigkeit erzeugt. Viele Menschen zieht es in Touristengebiete, weil dort der Dalasi schneller verdient ist als mit mühsamer Feldarbeit, die ausschließlich Frauen obliegt. Auch als Vorschullehrer wird man mit 500 Dalasi im Monat nicht reich.

Gambia braucht Perspektiven, wenngleich die traditionellen Naturheilmittel ungeahnte Potenziale bergen. Es fehlt an Bodenschätzen, Industrie und Strukturen. Der Kindergarten von Lamin ist ein Schritt in die richtige Richtung und vor allem nicht das letzte Projekt, wie Dr. Bernhard Janssen versichert.

Geplant ist zunächst eine Halle, in der die Ernte länger gelagert werden kann.

Wechselbad der Gefühle
Fest steht: Wir kommen wieder her

ERKELENZ (bir). Eine Reisegruppe aus dem Erkelenzer Land hatte eine Woche Gambia gebucht und erlebten, was sonst kaum ein Tourist sieht. Dennoch steht für einige schon fest: Wir kommen wieder. Architekt Ernst Storms, der die Bauzeichnung für den Kindergarten spendete, begeisterte auch seine Mitarbeiter für die Reise. Etwa Irmgard Schnelle mit Mann, Tochter, Schwester Marlies Rettig und Schwager. „Es war mein größter Gefühlskoller – allein die Eröffnungsfeier“, beschrieb die Sekretärin ihre Empfindungen. Doch es sollte noch heftiger kommen: Eine alte Frau reichte Marlies Rettig Hilfe suchend ein Baby, dessen Mutter gestorben war – zu weit war der Weg ins Krankenhaus. Der dreifache Vater, einer der Ärmsten in Lamin, kann das Kind nicht versorgen. Beim zweiten Besuch im Dorf, wo es eine Entbindungshütte gibt, die schlimmer aussieht als „ein Schweinestall vor 100 Jahren in Deutschland“, entschieden sich die Kleingladbacher zur Adoption. Entsetzen stand ihnen ins Gesicht geschrieben, als sie 25 Kilometer von Lamin das so genannte Krankenhaus besuchten – ein verkommenes Lazarett mit Medizinkoffer, verrottetem Anästhesiematerial und ohne Chirurg. Patienten warteten draußen im Dreck, nicht selten teilten sich drei und mehr Kinder ein Bett. Ebenso überfüllt die Malariastation – für uns unvorstellbare hygienische Verhältnisse.

Die Menschen tun, was sie können, aber mehr geht nicht. Und noch ein Baby ohne Mutter, die verblutete. 200 Kilometer ist nächste Klinik entfernt. Irmgard Schnelle: „Man erkennt den eigenen Überfluss. Ich werde nie wieder sagen, dass es mir schlecht geht“, und Tochter Simone (21) fügte nachdenklich hinzu: „Es wird mein ganzes Leben verändern.“ Marlies Rettig: „Man hört so viel über Entwicklungshilfe, aber man weiß nicht, wie alles abläuft und ob die Hilfe ankommt.“ Voller Respekt waren auch Christine Hahn und Peter Valentiner, Organisatoren der Sommerkunstakademie auf Haus Hohenbusch, die das Kindergarten-Projekt ebenfalls unterstützen. Christine Hahn wünschte sich weiter mehr Auseinandersetzung mit dem Überlebenskampf der Menschen in Afrika.

Wie ein weißer Elefant
Gambia, eine andere Welt – mit faszinierenden und bedrückenden Erlebnissen kehrten jetzt 26 Reisende von der Eröffnung des Kindergartens der Erkelenzer Initiative „Sena Nursery School“ zurück.

Von CORNELIA BIRTH
ERKELENZ.  Gerührt und glücklich stand Natascha Janssen vom Verein „Sena Nursery School“ vor dem Kindergarten in Niumi Lamin/Gambia, den die Erkelenzer Initiative nach einjähriger Bauzeit kürzlich einweihte (die RP berichtete). „Ich bin stolz, bei euch zu sein und danke meinen Freunden, die mir gezeigt haben, dass Freundschaft und Liebe einen Ozean überwinden können. Ich bin stolz, dass diese Schule den Menschen in Afrika und der ganzen Welt zeigt, dass keine Unterschiede zwischen Schwarz und Weiß bestehen.“

Über 500 Menschen lauschten den ausdrucksvollen Worten, die die Tochter von Tilly und Bernhard Janssen, den Gründungsmitgliedern des Vereins, so treffend fand – und zwar in Mandinka, einer der afrikanischen Landessprachen Gambias. Mit dabei waren auch 26 Reisende aus dem Erkelenzer Land, die den Kindergartenbau unterstützten. Gemeinsam mit den Menschen aus den Nachbarorten Lamins, deren Sprösslinge nun auch den neuen Kindergarten – einer für 52 Dörfer – besuchen können, gab es einen begeisternden Empfang für die Gäste, die sich durch Gesang und Tanz mitreißen ließen. Ein Fest, das alle so schnell nicht vergessen werden. In der heißen Wintersonne Afrikas strahlte das helle, bunt geschmückte Gebäude, in dem die Kindergartenkinder geduldig auf ihren Auftritt warteten: Die rund 100 Kleinen sangen in ihrer rot-karierten Kleidung zusammen mit 200 Grundschulkindern ihr Willkommenslied. Ergriffen folgten die Ehrengäste der Zeremonie in der eigens errichteten schattigen Loge. Der Dorfältesten-Vertreter würdigte die unermüdliche und selbstlose Arbeit von Dr. Bernhard Janssen, der das Land und seine Menschen ins Herz geschlossen hat. „Sie strahlen trotz ihrer Armut so viel Lebensfreude aus. Du bist willkommen, sie teilen das Wenige noch mit dir und du siehst dein Leben mit anderen Augen“, schwärmt der Mediziner.

Wichtigstes Anliegen des Vereins „Sena Nursery School“ ist vorerst die kostenfreie Vorschule für alle Kinder (derzeit 70 Mädchen/30 Jungen), damit besonders auch die benachteiligten Mädchen eine Chance bekommen, anschließend in die Grundschule zu gehen. Dies lobte auch der Bildungsbeauftragte des Bezirks Upper River, der die neue Schule mit einem weißen Elefanten verglich, einem Wunder, und dankte den weit gereisten Gästen für die Unterstützung. Geschätzt wurde ebenfalls, dass der Verein alles – vom Stein, Dach und bis zu Schulmöbeln – in Gambia anfertigen ließ. Zu den Gästen zählte auch ein Vertreter der Europäischen Hilfsorganisation, die die Wasserleitung bis zur Schule legte. „Kinder geht zur Schule, damit was aus euch wird!“, appellierte ein Regierungsabgeordneter an die Jugend und freute sich, die erste Schule in seiner Amtszeit einzuweihen. Kurz und bündig dankte Bernhard Janssen auch allen Spendern, ohne die das Projekt nicht möglich geworden wäre. Ein Fest ohne Geschenke. Hefte, Stifte, T-Shirts und ein großer Sanitätskoffer, den Karl-Heinz Buysch vom DRK-Rettungsdienst überreichte, wurden an die drei Erzieher weitergegeben, die jeweils eine Altersgruppe unterrichten. Die Kinder lernen traditionell durch Spiele, Lieder und Geschichten. Bücher kennt man kaum, da die afrikanischen Sprachen keine eigene Schrift haben und Wissen von Generation zu Generation mündlich weitergegeben wird. Erst im zweiten Jahr beginnen die Kinder mit der offiziellen Landessprache Englisch.

In einer einzigen staubigen Wolke, umringt von einem Pulk Kinder, blieb kaum eine Hand der weit gereisten Gäste frei, die bestaunt und befühlt wurde. Ein ergreifender Moment und ohne Worte: die Dreijährigen streichelten einer Kauernden unentwegt zärtlich über die Haare und große leuchtende Kulleraugen sprachen Bände. Erschütternde Szenen beim Essen: Kinder kletterten übereinander, um an die Schüsseln zu kommen. Bilder zum Nachdenken.

95 Prozent der Gambier sind Moslems und feiern kein Weihnachten. Und doch war es für Lamin ein ganz besonderer Tag, ein Geschenk von hilfsbereiten Menschen aus einem fernen Land.

Liebe allein versteht das Geheimnis, andere zu beschenken und dabei selbst reich zu werden.    Aurelius Augustinus
 

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